Wie bringt man SchülerInnen biblische Texte näher? Der Religionspädagoge Ao.Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Weirer und der Bibelwissenschafter Ao.Univ.-Prof. Dr. Josef Pichler entwickeln in wechselseitiger Zusammenarbeit neue Möglichkeiten, wie die Begegnung mit der Heiligen Schrift im Religionsunterricht gelingen kann.
Im Rahmen des vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF mit knapp 333.000 Euro geförderten Projekts „Narratologische Exegese und subjektorientierte Bibeldidaktik“ erarbeiten die beiden gemeinsam mit LehrerInnen ein Modell für den Umgang mit der Bibel in der Schule. Der innovative didaktische Ansatz soll nicht nur den individuellen Zugang zur Heiligen Schrift erleichtern, sondern generell die Kompetenz in der Behandlung von Texten, deren Deutung und die Kommunikation darüber fördern.
Im kommenden Sommersemester wird in ausgewählten Klassen der Religionsunterricht auf Video aufgezeichnet, von den WissenschafterInnen analysiert und dann gemeinsam mit den SchülerInnen noch einmal besprochen. „Durch diese direkte Rückmeldung erfahren wir, was wir an unserem Konzept noch verbessern können und welche Stellen oder Themen für die jeweilige Altersgruppe schwierig sind“, unterstreicht Weirer. Gleichzeitig erwarten sich die Theologen der Uni Graz aus den Sichtweisen der Jugend zusätzliche Perspektiven und neue Impulse für die Bibelforschung.
Um die Qualität des Religionsunterrichts nachhaltig zu verbessern, vermitteln die beiden ihre neuesten Erkenntnisse auch gleich in der PädagogInnen-Ausbildung. „Wir haben eine eigene Leitlinie für unsere Studierenden erarbeitet und bieten ab sofort einzelne Lehrveranstaltungen zu diesem Forschungsansatz an“, berichtet Josef Pichler.
Die Besonderheit liegt darin, dass die beiden Experten Techniken aus der Literaturwissenschaft übernehmen und die LeserInnen aktiv Bibelstellen analysieren lassen. „Dabei werden die Perspektiven von ErzählerInnen und handelnden Figuren berücksichtigt. Erst durch das Zusammenspiel dieser verschiedenen Sichtweisen wird das gesamte Bedeutungspotenzial von Texten deutlich“, präzisiert Pichler.
Mit dieser Herangehensweise sehen sich die Theologen als Vorreiter für andere Wissenschaftsbereiche. „Der aktive Zugang bietet die Möglichkeit, SchülerInnen stärker einzubinden und sich interdisziplinär besser zu vernetzten“, unterstreicht Weirer die Vorteile für LehrerInnen. Das von ihm geleitete Forschungsprojekt wird im deutschsprachigen Raum bereits mit großem Interesse verfolgt. „Die Didaktik wird meistens nur als ‚Verpackungswissenschaft‘ gesehen, die vom Fach vorgegebene Inhalte entsprechend aufbereiten muss. Wir buchstabieren dieses Verhältnis neu“, betont der Religionspädagoge.
Das Projekt ist eingebettet in den Forschungsschwerpunkt Lernen – Bildung – Wissen der Karl-Franzens-Universität Graz.