Der großflächige Angriff des russischen Militärs auf die Ukraine seit Februar 2022 hat die westeuropäischen Gesellschaften auf eine massive Art und Weise erschüttert und Frieden in seiner Fragilität deutlich werden lassen. Innerhalb der Europäischen Union entstehen neue Diskussionslinien entlang der jeweiligen Positionierungen zu den Kriegsparteien. Neue Herausforderungen und Diskursverschiebungen lassen sich auch in Kirchen und Theologien beobachten: Die Spannungen innerhalb der Orthodoxie, die spätestens mit der Anerkennung der Orthodoxen Kirche in der Ukraine durch den Patriarchen von Konstantinopel weltweit offensichtlich geworden sind, haben sich weltweit verschärft; um die theologische und geistliche Haltung zum Krieg wird teils heftig gerungen, teils wird versucht, um einer kirchlichen Einheit willen das Thema zu meiden. Während in den protestantischen und katholischen Kirchen im deutschsprachigen Raum ein breiter Konsens darüber besteht, den Angriff auf die Ukraine zu verurteilen und Geflüchteten zu helfen, kommt es zu Kontroversen über friedensethische Positionen angesichts der Debatten um die angemessenen Formen der Unterstützung der Ukraine (Diplomatie, Wirtschaftssanktionen, Waffenlieferungen). Von all dem bleiben auch Religionsunterricht und Religionspädagogik nicht unberührt.
In den genannten Feldern – Politik und Gesellschaft, Kirchen und Theologien, Religionsunterricht und Religionspädagogik – lässt sich beobachten, dass der Blick auf Krieg und Frieden geprägt ist von der Spannung, einerseits bisherige Überzeugungen, Deutungen und Strategien auf die gegenwärtige Situation anzuwenden, andererseits aber genau diese Überzeugungen, Deutungen und Strategien im Lichte der gegenwärtigen Situation mehr oder weniger zu revidieren.
Vor diesem Hintergrund werden – auch über den aktuellen Fokus auf die Ukraine hinaus – Beiträge zum weiten Themenfeld von Religionspädagogik und Religionsunterricht angesichts von Krieg und Frieden gesucht, die im besonderen Maße aus spezifischen (regionalen und lokalen, historischen, konfessionellen, biographischen, disziplinären …) Kontexten heraus Anfragen an Theorie und Praxis des Religionsunterrichts formulieren sowie konstruktive neue Denkwege entwickeln.
Die folgenden Fragen zeigen beispielhaft, wie religionspädagogische Themen mit einer solchen kontextuellen Perspektive verbunden werden könnten:
- Welche Einsichten der vom Kalten Krieg geprägten friedenspädagogischen Diskussionen innerhalb der deutschsprachigen Religionspädagogik der 1980er Jahre erweisen sich angesichts des neo-imperialen russischen Angriffskriegs ab 2022 als tragfähig, und welche dieser Einsichten müssten in welcher Weise weiterentwickelt oder revidiert werden?
- Welche Erfahrungen und Argumente aus welchen aktuellen osteuropäischen Debatten könnten oder sollten im deutschsprachigen Raum mit Blick auf die Diskussion friedensethischer Themen im Religionsunterricht wahrgenommen werden?
- Inwiefern verändern sich in Ländern und Regionen, in denen oder durch die aktuell oder in den letzten Jahrzehnten Krieg geführt wurde, das theologische und religionspädagogische Fragen und Nachdenken, und inwiefern ergeben sich daraus Impulse für Theologien und Religionspädagogik in nicht unmittelbar vom Krieg betroffenen Regionen?
- Wie lässt sich in der Schule von Krieg und Gewalt so sprechen, dass die unterschiedlichen biographischen und familiären Hintergründe der Schülerinnen und Schüler (z.B. mit Familien in und aus Deutschland, der Ukraine, Russland, Somalia, Syrien, Afghanistan …) angemessen berücksichtigt werden? Welche empirischen Ergebnisse oder reflektierten Erfahrungen aus der eigenen Praxis sind dabei zu berücksichtigen?
- Seit dem 24. Februar 2022 wird, wie bereits angesichts der Verwendung religiöser und konfessioneller Kategorien zur Kennzeichnung nationaler Gruppen im zerfallenden Jugoslawien der 1990er Jahre, in erhöhtem Maße die Notwendigkeit wahrgenommen, das orthodoxe Christentum im katholischen und im evangelischen Religionsunterricht zu thematisieren. Das Anliegen, Wissen über die Orthodoxie im Allgemeinen und über die jeweils aktuelle politische Rolle orthodoxer Kirche(n) im Speziellen zu vermitteln, geraten dabei möglicherweise in Spannung. Wie lassen sich vor diesem Hintergrund Kriterien für didaktische Entscheidungen im Kontext unterschiedlicher Aufgaben und Themenfelder des Religionsunterrichts (ökumenisches Lernen, Religion und Politik, Religion und Ideologie, Friedensethik …) begründen?
(Vorschläge für) Beiträge für das zweisprachige Heft (deutsch, englisch) können in deutscher oder englischer Sprache eingereicht werden. Besonders willkommen sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ost- und Südosteuropa, die ihre Erfahrungen mit Krieg und Friedensbemühungen reflektieren, sowie Beiträge, die sich mit einem Thema in vergleichender kontextueller Perspektive beschäftigen.
Wir laden herzlich dazu ein, Beiträge speziell zur Thematik dieses Heftes bzw. auch über das Thema hinausgehende Beiträge zu verfassen und für die nächste Ausgabe des ÖRF einzureichen, die im Frühjahr 2024 erscheinen wird.
Wir bitten Sie, uns die Ankündigungen Ihres Beitrages (Abstract) an folgende Mail-Adresse zu senden: oerf.redaktion(at)uni-graz.at. Sie werden daraufhin eine kurze Rückmeldung von uns erhalten, ob wir die Beitragsankündigung annehmen oder nicht. Wenn Sie ein positives Feedback von uns erhalten haben und ihr Beitrag fertiggestellt ist, laden Sie diesen selbstständig auf unsere Website hoch: http://oerf-journal.eu/.
Wir bitten ebenso um die Bekanntgabe von Publikationen, die in letzter Zeit entstanden sind und die rezensiert werden sollten, sowie um Kurzbeschreibungen sehr guter wissenschaftlicher religionspädagogischer Qualifizierungsarbeiten an den verschiedenen Standorten (Master- oder Diplomarbeiten …).
Den Ablauf zur Einreichung sowie alle entsprechenden Formalia finden Sie auf unserer Homepage: http://oerf-journal.eu/
Verantwortlich für die inhaltliche Konzeption dieser Ausgabe:
Dr.in Yauheniya Danilovich, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof.in Dr.in Andrea Lehner-Hartmann, Universität Wien
Prof. Dr. Dr. Joachim Willems, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Zeitplan
Vorschläge für Beiträge erbitten wir bis: 27. Oktober 2023
Abgabetermin aller Beiträge für das Peer-Review-Verfahren: 15. Dezember 2023
Abgabetermin für Rezensionen und Qualifikationsarbeiten: 16. Februar 2024
Erscheinungsdatum: Mai 2024
Wir bitten dringendst die Manuskriptrichtlinien genau einzuhalten!
Call for Papers - ÖRF 2024/1 (deutsch)
Call for Papers - ÖRF 2024/1 (english)